Mit der Veröffentlichung meines ersten Romans in nur wenigen Wochen hatte ich die letzten Monate wenig bis gar keine Zeit zum Schreiben. Hunderte von computertechnischen Problemen und Details im Zusammenhang mit Druck und Vermarktung meines Buches brauchten all meine Zeit und bestätigten eine Vermutungen der letzten Jahre: Dass das eigentliche kreative Schreiben mich am glücklichsten macht, und ich den Rest nur deshalb mache, damit ich weiter schreiben kann. Es mag mich frustrieren, wie viel Zeit eine Schriftstellerin mit anderen Dingen als dem Schreiben verbringen muss – doch realisiere ich dabei auch etwas:
Ich bin am richtigen Ort mit dem, was ich tue.Ein kreativer Ort, wo ich zum ersten Mal gern etwas für den Rest meines Lebens weitermachen will.
Ob jemand für sich eine solche Berufung festlegen kann oder nicht, die meisten von uns haben wohl etwas Ähnliches gefühlt, als wir die Entscheidung trafen, Jesus nachzufolgen. Wir brauchten ihn nicht auszuprobieren, um zu sehen, ob er zu uns passt. Nein, wir haben ihm unser Leben übergeben, oft auf dramatische Weise. Und für viele von uns rückten mit dieser Nachfolge alle anderen Aspekte des Lebens in den Hintergrund.
Darin liegt etwas Wunderschönes. Zu wissen, wohin man will, und sich darauf konzentrieren zu können, birgt gewaltige Kraft in sich. Dies besonders in einer Welt, in der der Mensch viel zu vielen Optionen ausgesetzt ist. Viele Organisationen haben das verstanden, weshalb uns Einladungen wie "Du gehörst dazu" und "Wir sind deine Familie" sowohl von Kirchen und politischen oder gemeinnützigen Organisationen, als auch eher unwahrscheinlicheren Gruppen wie Versicherungsgesellschaften und Fitnessstudios entgegenkommen.
Und doch... je länger ich mit Jesus unterwegs bin, desto mehr hinterfrage ich unser Verständnis seiner Einladung, ihm zu folgen. Ich glaube nicht, dass es eine Einladung war, "dem Club beizutreten" und sich für den Rest des Lebens dazugehörig zu fühlen. Ich hinterfrage dies, weil es einfach nicht der Erfahrung entspricht, die die meisten von uns im Leben machen.
In Wirklichkeit fragen wir uns manchmal eher, ob unsere Clubmitgliedschaft wegen mangelnder Nutzung oder verspäteter Zahlung abgelaufen ist. Oder wir fragen uns vielleicht sogar, ob der Club am anderen Ende der Stadt nicht vielleicht bessere Bedingungen hat. Oder wir fühlen uns in unserer Gruppe manchmal einfach am falschen Platz (wem es allzu gemütlich ist in seiner Gruppe, für den wären kritische Fragen vielleicht gar nicht fehl am Platz?).
Vielleicht ist die Nachfolge Jesu viel dynamischer gemeint. Eine Einladung, sich ständig zu verändern. Zuzulassen, dass was man glaubt immer mal wieder umgestoßen wird. Nie davon auszugehen, dass man schon alles verstanden hat. Das Verständnis vom eigenen Club nicht zu eng zu halten und Jesus zu erlauben, meine Vorstellungen häufig zu ändern.
Ein wunderbares Beispiel dafür ist die amerikanische TV-Serie "The Chosen" über das Leben von Jesus aus der Sicht seiner Nachfolger. Mir gefällt, wie in jeder einzelnen Folge mindestens einer der Jünger seine Vorstellungen dessen ändern muss, worauf er sich bei der Nachfolge dieses Lehrers von Nazareth eingelassen hat. Ob es darum geht, einen Zöllner in ihre Gruppe aufzunehmen oder herauszufinden, dass Jesus gar nicht den Sturz der römischen Besetzungsmacht vorbereitet - diese Männer wachen jeden Tag auf und fragen sich, was sich wohl noch ändern wird an diesem Tag. In der Zwischenzeit wächst auch ihre Erkenntnis, dass die Revolution, von der Jesus spricht, in ihren eigenen Herzen wird stattfinden müssen....
Wann immer sie denken, ihre Gruppe und sich selber nun im Griff zu haben, zerstört Jesus ihr wackeliges Paradies und sagt ihnen, dass sie ihre Feinde (ja, sogar die Römer!) lieben sollen und dass er übrigens von eben diesen Römern getötet werden wird. Ich kann mir vorstellen, dass sie manchmal morgens mit dem Gedanken aufgewacht sind: "Will ich wirklich überhaupt hören, was er heute sagen wird?"
Aber die Figur, die mich in dieser Sendung am meisten berührt, ist Nikodemus. Er ist Pharisäer und ein Mann, der aufrichtig nach Gott sucht. Seine Aufrichtigkeit und Leidenschaft führen zu meiner Lieblingsszene, dem geheimen Gespräch mit Jesus. Nikodemus versteht genau, wer Jesus ist, und ihm ist bewusst, was Jesus von ihm verlangt, wenn er ihn zur Nachfolge einlädt (eine Einladung, die in der Heiligen Schrift nicht ausdrücklich erwähnt wird, aber gut möglich gewesen ist): Er wird sich der Sehnsucht hingeben, die sein ganzes geistliches Leben genährt hat, und nichts wird mehr so sein, wie es mal war.
Und doch... Nikodemus hat eine Familie. Einen Platz in der Gesellschaft, wo er geliebt und geehrt ist. Einen Ruf, den er mit Sicherheit verlieren wird, sobald er in der Gesellschaft dieses unberechenbaren Predigers aus Nazareth gesehen wird. Ein ganzes Leben steht auf dem Spiel, um sich einer Gruppe von Fischern und einem Zimmermann anzuschließen.
Ich verstehe ihn gut. Sein innerer Konflikt ist oft auch der meine. Denn Jesus nachzufolgen ist keine einmalige Entscheidung. Es ist ein Prozess, und oft kein netter und sauberer. Wie Nikodemus weiß auch ich in meinem Herzen zweifellos, dass mein Vorbild wahrhaft der Messias ist. Doch entsteht daraus doch nicht automatisch ein tägliches "Hier bin ich, bereit, alles zu verlassen"-Bekenntnis mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich weiß nicht, wie The Chosen schlussendlich über Nikodemus urteilen wird (er wird sicherlich in den nächsten Staffeln wieder auftauchen), aber seine Entscheidung, sich den Jüngern in jener Nacht nicht anzuschließen, muss demütig bedacht werden. Auf der Oberfläche kann dies schnell als Versagen angesehen werden; Nikodemus schätzt seinen Ruf und seine Familie höher ein als die Chance, zu den Jüngern Christi zu gehören. Und sicherlich vergeht in Nikodemus' Leben kein Tag, an dem er sich nicht fragt, was hätte sein können.
Aber ich glaube nicht, dass man nur eine Chance bekommt. Ich glaube nicht, dass es "diese eine Sache" gibt, die man tun muss, um Jesus zu folgen. Ich denke, das Leben der Jünger (und unser eigenes) zeigt uns, dass es viele Gelegenheiten gibt, in die Nachfolge Jesu hineinzufallen und zwischendurch auch wieder herauszufallen.
Unser modernes evangelikales Vokabular macht unser Gespräch über die Nachfolge Jesu gefährlich zweidimensional. Entweder man ist errettet oder nicht. Gehorsam, oder nicht. Man folgt Gottes Plan, oder nicht. Aber wissen Sie, dass für die Jünger die Frage, ob sie errettet seien, wohl schwer zu beantworten gewesen wäre - vor allem, wenn sie einen bestimmten Moment hätte nennen sollen? Wurden sie in dem Moment errettet, als sie ihn als den Auferstandenen erkannten? Oder war es, als sie ihn als den Messias bezeugten? Oder war es sogar schon vom Moment an, in dem sie ihm nachfolgten? Doch was ist dann mit denen, die ihn nach einiger Zeit verliessen? Oder diejenigen, die bis zum Schluss zweifelten? Oder gar diejenigen, die ihn verleugneten und zu denen Jesus sagen musste: "Geh hinter mich, Satan"?
Manche Christen benutzen eine Art geistlichen Maßstab zum Messen der Nachfolgequalifizierung anderer (nicht empfehlenswert). Weit oben ist da zum Beispiel, alles hinter sich zu lassen (d. h. den Job zu kündigen, das Haus zu verkaufen und sein Hab und Gut zu verschenken) und auf ein Missionsfeld zu ziehen. Die Versuchung besteht, von einem solchen Schritt zu erwarten, dass er eines Menschen Nachfolge für immer zementieren wird. Dass sich auch für Nikodemus mit diesem Schritt alles geklärt hätte, und er sich von da an stolz auf den Lorbeeren der Jüngerschaft hätte ausruhen können. Eine solche Sicht der Jüngerschaft ist dramatisch, ja sogar romantisch.
Aber es ist nicht die Wirklichkeit, zumindest nicht meine. Ich habe jahrelang lang auf dem Missionsfeld in Indien gelebt, inklusive all den Missionsaktivitäten, die man mit so einem Schritt assoziiert. Und obwohl nur Jesus allein weiß, was dadurch in mir und in anderen gewirkt wurde, war es für mich nichts weiter als ein Teil meiner Reise. Es war nicht die einflussreichste Zeit und nicht die, in der ich mich Gott am nächsten fühlte. Es war nicht einmal die Zeit, in der ich mich am gehorsamsten fühlte. Gewiss hat es auch nicht meine Hingabe an Gott "besiegelt" oder mich immun gemacht gegenüber Zweifeln oder Zeiten, in denen meine Nachfolge eher einem Nachkriechen gleicht.
In der Bibel lesen wir, dass Jesu Leichnam von Josef von Arimathäa vom Kreuz genommen und zur Bestattung vorbereitet wird. Aber Josef erledigt diese wichtige Aufgabe nicht allein. Ein anderer Mann schließt sich ihm an und bringt fast hundert Pfund Gewürze mit, mit denen er den Leichnam Jesu einbalsamiert. Das ist das Vierfache der Menge, die normalerweise selbst für wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verwendet wird, und wäre heute etwa 150'000 Franken wert. Wir gehen davon aus, dass es sich dabei um einen großen Teil des Vermögens von Nikodemus handelte, welcher mit diesem Geschenk zur Erfüllung der Prophezeiung beitrug, dass Jesu Leichnam nicht verwesen werde. Es gibt viele Wege, mit Jesus unterwegs zu sein.
Hat Nikodemus in jener Nacht auf dem Dach mit Jesus die richtige Entscheidung getroffen? Wahrscheinlich nicht. Aber hat er "seine Chance verpasst"? Sicherlich nicht! Genau wie wir hatte Nikodemus ein Leben lang Entscheidungen zu treffen, wenn es um seine Liebe zu Jesus ging - sei es, dass er im Sanhedrin aufstand, um ihn zu verteidigen (Johannes 9), sei es, dass er seinen Reichtum für Jesu Begräbnis einsetzte, und tausend weitere Entscheidungen, von denen wir in der Bibel nichts hören.
Jesus nachzufolgen bedeutet, am Morgen mit der Erwartung aufzuwachen, dass Jesus vielleicht auch heute wieder meine Vorstellung ändert, was es heißt, sein Nachfolger zu sein. Fehler zu machen, träge zu werden, das Ziel zu verfehlen und am nächsten Morgen festzustellen, dass er mich immer noch seinen Freund nennt. Und es am nächsten Tag richtig zu machen, im christlichen Rampenlicht zu glänzen, und im nächsten Moment diese leise Stimme meinem Ego sagen hören: "Geh hinter mich, Satan". Es gehört alles dazu. Es gehört zu einem Nachfolger, welcher gleichzeitig ein Leben lang hingebungsvoll Jesus nachfolgt und weiß, dass es für ihn nie etwas Wichtigeres geben wird – und der gleichzeitig weiß, dass er noch nicht einmal begonnen hat, diese Nachfolge zu verstehen.
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