Dieses Jahr brachte uns der Dezember nicht nur die Adventszeit, sondern auch die Fußballweltmeisterschaft. Für unsere Familie bedeutet das, dass unsere normalerweise recht strengen TV-Beschränkungen in den Wind geworfen werden und wir alle vor dem Bildschirm kleben, anfeuern und diskutieren und uns im Allgemeinen so verhalten, als wären wir alle Fußballprofis. Und nein, ich saß nicht da und suchte nach Inspiration für einen Blogbeitrag.
Es gibt mindestens vier Arten von (Fußball-)Fans. Da sind einmal diejenigen, die für "ihre" Mannschaft fiebern, d. h. für das Land, in dem sie aufgewachsen sind. Dann gibt es diejenigen, die "die bessere Mannschaft" anfeuern—das sind die Fans, die glauben, dass sie Experten genug sind, um zwischen Talenten zu unterscheiden, die ihnen selbst um Lichtjahre überlegen sind. Die dritte Gruppe sind diejenigen, die die Außenseiter anfeuern - einfach, um sie zu unterstützen und weil ja immer auch Wunder geschehen könnten. Und viertens diejenigen, die das Siegerteam anfeuern, weil es sich, seien wir ehrlich, immer gut anfühlt, zum Siegerteam zu gehören.
Alle diese Fans haben eines gemeinsam: Sie wollen, dass ihre Mannschaft gewinnt. Die Gründe dafür mögen sich leicht unterscheiden, aber es steht außer Frage, dass ein Sieg besser ist als eine Niederlage. Richtig?
Hier kommt Jesus und die Bergpredigt ins Spiel. Die Predigt, in der alles auf den Kopf gestellt wird. Die Armen sind gesegnet. Auch die Trauernden. Die Sanftmütigen, die Hungrigen, die Verfolgten - sie alle sind gesegnet. Wir lesen das und stimmen zu, weil wir Mitleid mit denen verspüren, die das Pech haben, in dieser Lage zu sein. Wir sind froh, dass Jesus sich um sie kümmert und ihnen Hoffnung gibt. Und wir feuern sie an, damit auch sie eines Tages zu Gewinnern werden.
Und haben damit den Punkt völlig verfehlt.
Wir Christen—allen voran die amerikanischen—haben eine problematische Liebe zu „erfolgreichen“ Versionen von Glauben, und eine Neigung, unser christliches Leben als siegreich und uns selbst als glücklich und von größeren Problemen verschont darzustellen. Geheiligt und herausgeputzt, so dass wir nun mit einem wohlwollenden Lächeln den armen Seelen um uns herum, die noch in Sünde und Dunkelheit versunken sind, helfen können. Um bei der Fußball-Analogie zu bleiben: Wir versuchen, genau wie alle anderen zu punkten, damit sich möglichst viele dem Team Jesus anschließen.
Natürlich riechen die meisten Menschen den Schwindel, lange bevor wir die Chance haben, sie mit unserer Überzeugungskraft zu beeindrucken. Aber selbst wenn wir uns so weit zusammenreißen könnten, dass wir wirklich erfolgreich, siegreich und glücklich erscheinen, stellt sich die Frage, ob es überhaupt das Ziel eines Nachfolgers Jesu ist, zu gewinnen.
Was wäre, wenn Jesus in Wirklichkeit sagt, dass die Schwachen und Armen und Trauernden - die "Verlierer" - seine Nachfolge besser repräsentieren als die siegreichen Christen? Natürlich gibt es Stellen, an denen Jesus davon spricht, was seine Nachfolger durch ihren Gehorsam gewinnen werden. Doch geht es dabei nicht um einen äußerlich messbaren und noch weniger um einen kontrollierbaren Gewinn. Bei all seinen Begegnungen mit Menschen scheint es, als ob das Gewinnen - zumindest in dem Sinne, wie wir es normalerweise verstehen - nie zu seinem Wortschatz gehörte. Er sprach vom Aushalten. Leiden. Lieben. Helfen. Vertrauen. Alles Eigenschaften, die er selber vorlebte.
Eric Warner schrieb Anfang dieses Herbstes einen Blog-Beitrag mit dem Titel "What if Weakness is the goal?" (Was, wenn Schwäche das Ziel ist?), und ich möchte einen Auszug davon mit euch teilen. Er schreibt:
"Wir sind uns durch die Logik unserer irdischen Welt gewöhnt, Macht als rohe Gewalt zu verstehen. Die Sportmannschaft mit den größeren, stärkeren Spielern ist „mächtig“. Die Armee mit der größeren Zahl und den besseren Waffen ist mächtig. Wir fühlen uns in jedem Bereich des Lebens von Macht angezogen. Wir mögen starke Autos. Wir wollen für die Siegermannschaft spielen. Wir wollen für das Unternehmen arbeiten, das erfolgreich ist. Wir wollen das Schnäppchen, wenn wir Dinge kaufen—in Wirklichkeit ebenfalls ein Wunsch, unsere Macht auszuüben. Wir manövrieren oder kämpfen sogar um Macht in unseren Beziehungen. Wir haben uns die Vorstellung zu eigen gemacht, dass Macht, Kontrolle und Autonomie der Gipfel der Existenz sind. Wir versuchen, Situationen zu vermeiden, in denen wir keine Kontrolle haben. Wenn wir in einem Team sein müssen, wollen wir im Siegerteam sein. Wir wollen einem Leiter folgen, der mächtig ist und die Kontrolle hat. Meiner Beobachtung nach gibt es in dieser Hinsicht kaum einen Unterschied zwischen Christen und Nicht-Christen."
Was mich überführte, war das mit den Schnäppchen (diesen Artikel schreibe ich kurz nach dem Black Friday Shopping…). Ich teile Erics Ansicht, dass wir in fast jedem Bereich des Lebens, in dem wir gewinnen wollen, in Wirklichkeit nur unseren Willen und unsere Kontrolle auszuüben versuchen. Und die Ausrede, dass wir ja Geld gespart oder Komfort oder Sicherheit gewonnen haben, liegt nahe, ist aber oft eben nichts anderes als eine Ausrede. Eric fährt fort:
"Aber was wäre, wenn Jesus gelehrt und offenbart hätte, dass das Reich Gottes überhaupt nicht auf dem Prinzip von Macht und Kontrolle beruht? Was wäre, wenn sich wahre Macht durch Schwachheit zeigte? Was, wenn Schwachheit sogar das Ziel ist? Das klingt fast schon absurd. Wir können ja noch verstehen, Schwäche erfahren zu müssen, um die eine oder andere Lektion zu lernen—aber am Ende werden wir sicher daraus wieder erlöst und auf den Ehrenplatz gesetzt. Schwäche ist doch nur ein vorübergehender Zustand, oder? Wir sind so darauf konditioniert, Schwäche als etwas Schlechtes anzusehen, etwas, wodurch man keine Ziele erreicht. Mehr und mehr erkenne ich in den Evangelien jedoch Jesu Offenbarung, dass das Reich Gottes anders als die Reiche der Welt funktioniert. Wir müssen da hinein wiedergeboren—aus dem Geist geboren—werden. Das Reich Gottes ist weit radikaler als einfach ein „herausgeputztes“ Reich der Welt".
Er fährt fort, dieses auf den Kopf gestellte Reich zu erläutern, in dem Kraft in Schwachheit vollendet wird (2 Kor 12,9) und in dem die Schwachheit Gottes stärker ist als die Stärke der Welt (1 Kor 1,25).
Seine Worte hatten eine seltsam tröstliche Wirkung auf mich. Wenn Gewinnen nicht das Ziel ist, dann vielleicht auch nicht Perfektionismus oder Optimierung. Auch nicht meine anstrengenden Bemühungen, keine Fehler zu machen, keine Gelegenheiten zu verpassen, nicht übersehen zu werden, nicht missverstanden zu werden oder ... hier kannst du einfügen, was du in deinem Leben versuchst, um zu gewinnen und die Nase vorn zu haben.
Ich weiß, dass wir uns nicht völlig aus dem Spiel dieser Welt herausnehmen können, in welchem es ums Gewinnen geht (und wir dürfen auch die Weltmeisterschaft genießen😉). Aber wir können ebenfalls darüber nachdenken, unsere Schwächen als Stärken zu sehen. Wir können beten, dass wir den oft schon unbewussten Wunsch verlieren, in jedem Bereich des Lebens gewinnen zu müssen. Stattdessen dürfen wir bitten, Liebe für die "Verlierer" dieser Welt zu entwickeln und die Gnade, zu erkennen, dass vielleicht gerade diese Menschen Jesus auf wunderbare Weise folgen. Vielleicht kann man sagen, wir dürfen um die Sicht bitten, die Welt so zu sehen, wie sie durch Gottes Reich bereits ist.
Eric Warner says
Judith,
I am humbled that you found my thoughts comforting. I like the way that you expanded my ideas. The following lines have been poking at me since I first read your post a few days ago.
“If winning isn’t the goal, then maybe perfectionism isn’t either. Nor optimization. Nor my tiring efforts to avoid making mistakes or missing opportunities or being overlooked or misunderstood or … fill in the ways you try to win and stay ahead of the game in your life.”
I am a perfectionist. I generally hold myself to an unattainable standard and I tend to do the same for those around me. Yet my heart longs to know and show God’s grace. We truly do need to daily take up our cross and die to follow Jesus. The idea of winning as losing is so foreign to the world that we are immersed in that it is extremely difficult to even see the myriad ways that we have been formed by a culture of winning.
This year I have been reading a book on the parables of Jesus by Robert Farrar Capon titled, “Kingdom, Grace, Judgement.” He repeatedly drives this point home, particularly in the chapter called “Losing as the Mechanism of Grace,” Here are just a few snippets of that chapter that jar me every time I read them.
Jesus’ insistence on unsuccess will always be radically unacceptable to people in their right, success-loving minds]. . . any disciple of Jesus who enlists on the side of the world’s winners will simply have cut himself off from the losers who alone have the keys to the kingdom; worse yet, he himself will inevitably become just another doomed winner.
People simply do not come in droves to anyone who insists that the only way to win is to lose. Nevertheless, Jesus’ teaching is exactly that salty: “The disciple is not above his teacher,” he told his followers (e.g., Matt. 10:24-25); “it is enough for the disciple to be like his teacher.” And he went on to spell out the meaning of that assertion in his very first prediction of his death (e.g., Matt. 16:24-25): “If anyone wants to come with me, let him deny himself, take up his cross, and follow me. For if anyone wants to save his life, he will lose [apolesei] it; and whoever loses his life for my sake will find it.”
But if the salt of the earth becomes insipid – if a disciple of Jesus forgets that only losing wins, and a fortiori, if the apostolic church forgets gets it – where in the wide world of winners drowning in the syrup of their own success will either the disciple or the church be able to recapture the saltiness of victory out of loss? The answer is nowhere. And the sad fact is that the church, both now and at far too many times in its history, has found it easier to act as if it were selling the sugar of moral and spiritual achievement rather than the salt of Jesus’ passion and death. It will preach salvation for the successfully well-behaved, redemption for the triumphantly correct in doctrine, and pie in the sky for all the winners who think they can walk into the final judgment and flash their passing report cards at Jesus. But every last bit of that is now and ever shall be pure baloney because: (a) nobody will ever have that kind of sugar to sweeten the last deal with, and (b) Jesus is going to present us all to the Father in the power of his resurrection and not at all in the power of our own totally inadequate records, either good or bad.
Jesus’ program remains firm. He saves losers and only losers. He raises the dead and only the dead. And he rejoices more over the last, the least, and the little than over all the winners in the world. That alone is what this losing race of ours needs to hear, even though it can’t stand the thought of it. That alone is the salt that can take our perishing insipidity and give it life and flavor forever.
Robert Farrar Capon. Kingdom, Grace, Judgment: Paradox, Outrage, and Vindication in the Parables of Jesus (Kindle Locations 2275-2301). Kindle Edition.
Judith Forgoston says
Eric, thank you for your thoughts. I so relate to what you’re saying. I’m a perfectionist, too… which can really be a curse and stand in the way of relationships, peace, and becoming more like Jesus! Like you said so well, although we hold ourselves and others to impossible standards, our hearts actually long for something else—for grace and compassion. Those are attributes of the Kingdom of God and we need to learn to let them speak louder than the perfectionism and control the world tells us will make us happy.
From what you write I can tell you’ve already pondered this topic way more than I have. It seems to me that it’s a whole new way to live and I marvel at how long I’ve been a follower of Jesus without hardly having paid any attention to these specific words of Him. We all know Jesus’ words were “rightside up” from what the world thinks, but it’s a different thing when you take it serious enough to actually want to live by it.
I want to read the book you mentioned—it sounds like what I would imagine a modern prophet to sound like!…
dforgoston says
You nailed this one as well….
I’m convicted. 🙂
>
judichri says
Liebe Judith
Deine New Post wird immer realistischer, oder besser gesagt, sie entspricht immer mehr dem, was ich voll und ganz nachvollziehen und mit Überzeugung beherzigen will. Vielen Dank für das Mitteilen deiner Gedanken.
Bis sehr bald und liebe Grüsse
Mami
Judith Forgoston says
Vielen Dank! Ich freue mich, dass die Gedanken für dich Sinn machen und dir wichtig sind.